Es ist wieder Interviewzeit!
Heute berichtet Steffi von ihren Erfahrungen – insbesondere von denen, die sie mit der Radiojodtherapie gemacht hat. Steffi hat ein echtes Kämpferherz. Und damit nicht genug, sie leitet auch noch eine Facebookgruppe, in der sie Betroffenen mit ihrem Rat zur Seite steht.
Liebe Steffi, möchtest Du uns kurz etwas über dich erzählen?
Ich bin Steffi, 34 Jahre und ich wohne in NRW. Seit 2015 bin ich Admin der Facebookgruppe „Morbus Basedow der unsichtbare Feind“. Ich hoffe, damit Betroffenen helfen zu können.
Wann wurde der Basedow zum ersten Mal bei dir festgestellt?
Der Basedow war eine Zufallsdiagnose im November 2005. Dem Werksarzt kam die Schilddrüse vergrößert vor. Daraufhin folgte eine TSH Bestimmung beim Hausarzt und eine Überweisung an einen Nuklearmediziner.
Wie war deine Reaktion bei der Diagnose?
Ich bekam nur gesagt, dass ich eine Überfunktion der Schilddrüse hatte und Tabletten nehmen müsse. Ich wurde weder vom Haus- noch vom Facharzt über den Basedow aufgeklärt. Ich habe das einfach hingenommen.
Fühltest Du dich vielleicht erleichert? Oder hattest Du doch ein beklemmtes Gefühl?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir mit 18 Jahren keine Gedanken gemacht. Ich habe die Tabletten genommen und das war es. Zu der Zeit war mir meine Abiturvorbereitung wichtiger.

Was für Symptome hattest Du? Wie hast Du dich gefühlt?
Beim ersten Mal hatte ich kaum Symptome. Ich war schnell erschöpft und schnell außer Atem. Ich dachte aber das kam daher, dass ich zu der Zeit nur wenig Sport gemacht habe.
Warst du krankgeschrieben?
Beim ersten Mal war ich nicht krankgeschrieben.
Beim zweiten Mal war ich 3 Wochen krankgeschrieben. Diese Zeit brauchte ich auch, um kognitiv wieder klarzukommen.
Nimmst Du derzeit Medikamente? Und falls ja: Welche sind es?
Ja. L-Thyroxin 88/100 im Wechsel.
Wann konntest Du deine Medikamente zum ersten Mal absetzen?
Meinen ersten Auslassversuch hatte ich im Juni 2006.
Hattest Du schon einmal einen Rückfall bzw. Rezidiv?
Ich hatte im April 2008 ein Rezidiv. Die Symptome begannen schleichend.
Ich war zu der Zeit In der Ausbildung zur Chemielaborantin. Das erste woran ich mich erinnere ist, dass ich im temperierten Labor auf einmal Schweißausbrüche hatte. Innerhalb von 2 Wochen kamen immer mehr Symptome dazu.
Eigentlich war ich eine gute Auszubildende, aber auf einmal hatte ich in der Theorie und Praxis nur noch 0 Punkte. Mein Gedächtnis war ein Sieb. Bei den praktischen Arbeiten im Labor zitterten meine Hände. Trotzdem wollte ich nicht wahrhaben, dass etwas nicht stimmte.
In meinem Privatleben reagierte ich immer häufiger gereizt und ich begann, die Nacht zum Tag zu machen. Ich wollte mitten in der Nacht Gespräche führen, was dazu geführt hat, dass mein Freund aus unserem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen ist. Zeitweise hatte ich Herzrasen. Ich bin oft grundlos wütend geworden.
Auf der Arbeit im Labor habe ich Chemikalien vertauscht. Es stand eine Abmahnung im Raum. Das war der Moment, wo ich zum Arzt gegangen bin. Dort wurde das Rezidiv festgestellt und ich wurde erstmals mit der Basedow-Diagnose konfrontiert.

Vertraust Du allein auf den Rat deiner Ärzte oder unternimmst Du selbst auch etwas, um den Basedow zu beruhigen bzw. symptomfrei zu werden?
Ich habe sehr lange meinen Ärzten blind vertraut.
Erst mit dem Rezidiv 2008 habe ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt, das Buch „Leben mit Morbus Basedow“ gelesen und im ht-mb Forum mitgelesen. Leider hat mein damaliger Hausarzt bei der Hemmereinstellung nur das TSH gemacht und mich damit in eine Unterfunktion gedrückt.
Ich habe versucht, einen anderen Hausarzt zu finden, aber alle Hausärzte vor Ort haben immer nur das TSH gemacht. Diskussionen brachten nichts. Ich habe resigniert.
Mittlerweile vertraue ich nur noch sehr wenigen Ärzten, rede bei meiner Einstellung ein Wörtchen mit und lasse mir immer alle Befunde in Kopie geben. Seit ich mich selber um meine Werte kümmere, geht es mir gut.
Wie hat dein Umfeld auf deine Krankheit reagiert?
Ich hatte großes Glück. So richtig auffällig wurde der Basedow bei mir ja erst mit dem Rezidiv.
Mein Freund hat lange zu mir gestanden, aber am Ende ist unsere Beziehung an meinen Stimmungsschwankungen und meiner grundlosen Aggression zerbrochen.
Von Seiten der Ausbildung habe ich große Unterstützung erfahren. Nach der Rezidiv-Diagnose war die Abmahnung vom Tisch und ich dufte das Laborpraktikum im Jahr drauf wiederholen. Ich habe es mit 100 Punkten in Theorie und Praxis abgeschlossen. Nachdem ich aus dem Krankenstand zurück war, durfte ich die ersten Klausuren testweise mitschreiben. So konnte ich für mich rausfinden, dass ich wieder fit genug für die Teil-Abschluss-Prüfung 1 war.
Besitzt Du deine Schilddrüse noch?
Nein.
Hast Du dich einer Operation oder RJT unterzogen?
Ich hatte im September 2008 eine RJT.
Warum hast Du dich für die RJT entschieden?
Ich habe mich für die RJT entschieden, weil ich Angst vor der OP hatte. Die RJT erschien mir einfacher.
Für die definitive Entfernung der Schilddrüse habe ich mich entschieden, weil ich Angst hatte, jedesmal in Stresssituationen mit der Basedow-Überfunktion konfrontiert zu werden. Ich konnte ja nicht jedesmal bei Stress mein komplettes Leben in „Stand-By“ schalten. Desweiteren hatte ich die Vorstellung, dass ohne Schilddrüse alles leichter wird und ich nicht mehr mit den Ärzten um die freien Werte kämpfen muss.
Rückblickend weiß ich, wie naiv das war.
Muss ich Angst vor Schmerzen bei einer RJT haben?
Nein.
Wie ist der Ablauf einer RJT? Muss ich Angst haben vor Komplikationen?
Ich war zur RJT in Jülich,einem Standort, der zur Uniklinik Düsseldorf gehört. Zwei Tage vor der RJT sollte ich meine Hemmer absetzen.
Zuerst erfolgte eine Untersuchung und ich musste die Einverständniserklärung unterschreiben. Man darf nach einer RJT 6 Monate nicht schwanger werden.
Ich war in einem Zweibettzimmer mit Dusche und WC untergebracht. Aufgrund der Strahlenbestimmungen darf man dieses Zimmer nicht verlassen, bis man unter einem bestimmten Grenzwert ist.
Da ich nicht direkt aus Jülich kam, hatte ich am ersten Tag einen sogenannten 24h -Jodvortest. Man schluckt eine Testkapsel und am nächsten Tag wird gemessen, wie viel Dosis für die richtige Kapsel benötigt wird. Ich bekam also am nächsten Tag die richtige Kapsel. Ich habe die Zeit dort als ereignislos in Erinnerung. Jeden Morgen steht ein Arzt vor der Tür und misst auf Höhe der Schilddrüse die Strahlenbelastung. Mehr passiert nicht. Nach 5 Tagen lag ich unter dem Grenzwert und durfte nach Hause. Die Schildrüsenwerte waren im Normbereich.
Gab es Komplikationen nach deiner RJT?
Da gibt es leider eine ganze Menge zu berichten.
Mein Hausarzt machte weiter nur das TSH, obwohl im Bericht der Uniklinik stand, dass TSH, ft3 und ft4 erst wöchentlich, dann alle 4 Wochen zu bestimmen sind. In meiner Not habe ich mich an die Nuk gewandt, die mich rausgeschmissen hat mit den Worten, dass ich frühestens nach 3 Monaten wiederkommen solle.
Im Januar habe ich dann einen Termin beim Endokrinologen bekommen, der festgestellt hat, dass ich wieder in einer Überfunktion war. Also begann ich wieder mit der Hemmereinnahme.
6 Monate nach der RJT hatte ich einen Nachuntersuchungstermin bei der Uniklinik Düsseldorf. Dort wurde die erneute Überfunktion bestätigt und es stand fest, dass die RJT erfolglos gewesen ist. Der Basedow war wieder aktiv bei 11ml Restvolumen (Vorher 25ml).

Ohne auf meine Wünsche einzugehen, wurde mir ein Termin für eine zweite RJT im Juni 2009 gegeben. Ich durfte nichts mitentscheiden. Da ich im Juni auch meine Abschlussprüfung hatte und ich die Befürchtung hatte, dann mitten in der Abschlussprüfung mit kognitiven Problemen konfrontiert zu sein, habe ich abgelehnt.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zur Chemielaborantin zog ich nach Hessen und nahm eine Stelle in der pharmazeutischen Qualitätskontrolle an. Die Schilddrüse ließ ich etwas schleifen.
Im März 2010 bekam ich auf einmal wieder Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Ich ging zum Facharzt und sollte aufgrund einer leichten Unterfunktion die Hemmer absetzen. Einige Wochen später hieß es, alle Werte wären in der Norm, erneute Kontrolle erst wieder in einem Jahr.
Meine Probleme auf der Arbeit blieben bestehen und ich begann eine Psychotherapie. Ende 2010 stellte der Hausarzt eine Unterfunktion fest. Ich sollte 50LT nehmen. Im März 2011 bin ich wegen Depressionen mit Gedächtnisproblemen in eine Klinik gegangen. Leider hat der Aufenthalt dort nichts verbessert. Ich musste meine Traumstelle in der Pharma aufgeben.
Ich war wieder beim Facharzt, wo ich eine zu niedrige Einstellung ansprach. Man empfahl mir explizit ein TSH im mittleren Normbereich. Ich fühlte mich hilflos und flehte meinen Hausarzt an mir zu helfen. Aber der gab mich auf.
O-Ton: „Normwerte machen keine Symptome, werden Sie endlich erwachsen“……
(Anmerkung der Redaktion: Diese Äußerung hat mich entsetzt!)
2014 ging ich wieder zu meinem alten Facharzt hier in NRW. Der empfahl ein TSH um 1 und meinte, dass die Schilddrüse sehr klein sei. Er empfahl mir eine Erhöhung der LT- Dosis auf 75. Nach 3 Wochen merkte ich leichte Überfunktionssymptome, die aber nach 8 Wochen langsam verschwanden. Mein Kurzzeitgedächtnis funktionierte wieder normal.
Anschließend habe ich mir hier einen neuen Hausarzt gesucht und mit ihm das „Feintuning“ gemacht. Dazu habe ich die Schilddrüsenwerte TSH, ft3 und ft4 abnehmen lassen und anschließend die Dosis verändert. Nach 8 Wochen ließ ich neue Blutwerte machen und guckte, was sich verbessert/ verschlechtert hat. Ich bekam immer mehr ein Gefühl für Über- und Unterfunktionssymptome. Seitdem ist die Einstellung relativ stabil. Heute geht es mir gut.
Würdest Du die RJT wieder machen?
Mit der Erfahrung von heute würde ich persönlich nie wieder eine RJT machen.
Hast Du den Eindruck, Morbus Basedow ist im Vergleich zum Hashimoto eher unbekannt?
Ich würde fast sagen, dass beides unbekannt ist, wenn man nicht selber betroffen ist.
Was ist deine größte Sorge bezüglich deines Basedow?
Ich bin aktuell zufrieden, wie es ist. Die TRAK sind aktuell negativ und es geht mir gut. Ein bisschen bin ich gespannt, wie es mit der Einstellung läuft, wenn es zu einer Schwangerschaft kommt.
Und was ist deine größte Hoffnung?
Meine größte Hoffnung ist, dass die Haus- und Fachärzte umdenken und die freien Werte standardmäßig mitbestimmt werden. Desweiteren würde ich mir wünschen, dass man die Patienten mit ihrem Befinden ernst nimmt und nicht nur auf Normwerte achtet. Meiner Erfahrung nach sind die Wohlfühlwerte individuell deutlich enger.

Was würdest Du den „Basedow-Frischlingen“ unter uns raten?
- Habt Geduld. Auch wenn es am Anfang nicht so scheint, es wird wieder besser.
- Der Basedow äußert sich bei jedem anders, nehmt Euch im Zweifelsfall lieber eine kleine Auszeit.
- Lasst Euch nicht auf eine Einstellung nach TSH ein. Es braucht TSH, ft3 und ft4.
- Lasst hin und wieder die weißen Blutkörper und die Leberwerte mitkontrollieren.
- Lasst Euch immer alle Befunde kopieren.
- Besonders am Anfang der Hemmertherapie ist eine engmaschige Kontrolle wichtig. Bei hohen Hemmerdosierungen am besten alle 2 Wochen neue Werte machen lassen. Erst wenn die Werte stabil sind, kann man die Kontrollabstände auf alle 3-4 Wochen, später auch auf 6-10 Wochen ausweiten.
- Unter der Hemmertherapie sinkt zuerst der ft4. TSH und ft3 ziehen erst langsam nach. Man kann immer nur von Blutwert zu Blutwert gucken. Die Hemmerdosis muss immer wieder angepasst werden.
- Guckt vor einer definitiven Option, dass ihr Ärzte habt, die Euer Befinden ernst nehmen und die ggf. Zwischendosierungen aufschreiben. OHNE einen solchen Arzt, würde ich keine definitive Option anstreben. Lieber etwas mehr Zeit in die Suche nach einem vernünftigen Arzt investieren.
- Falls es mit der Einstellung nicht klappt: Probiert Zwischendosierungen mit 25 LT in 12,5er oder 6,25 er Schritten.
- Kein Dosishopping – wenn möglich eine Dosierung 8 Wochen halten, egal was passiert. In der Zwischenzeit Sport treiben, Ablenken oder der Freundin ein Ohr abkauen.
- Mir hilft es ein Symptomtagebuch zu führen.
- Normwerte sind nicht zwangsläufig Wohlfühlwerte. Mir geht es nur gut, wenn mein ft4 in einem sehr eng definierten Bereich liegt.
- Es sind nur Laborwerte vom gleichen Labor vergleichbar.
- Wenn ihr eine RJT macht, müsst ihr in den ersten 6 Monaten mit schwankenden Werten rechnen.
- Lasst Euch bei einer RJT nicht auf einen 24h-Vortest ein. Dieser ist sehr ungenau. Lasst lieber an mehreren Tagen Radiojod- Vortests machen, auch wenn es umständlich erscheint.
- Bei einer großen Schilddrüse und bei einer Augenbeteiligung wird von einer RJT abgeraten
- hormonelle Verhütung mit östrogenhaltigen Pillen kann den Verbrauch an L-Thyroxin erhöhen
- Sojareiche Ernährung kann die L-Thyroxindosis verändern.
Hast Du noch ein paar abschließende Worte, eine Botschaft für alle Schmetterlinge auf dieser Welt?
Kämpft für Euch und eure Werte, auch wenn es heißt, den gefühlt 100. Arzt ausprobieren zu müssen.
Vielen Dank liebe Steffi, für das ausführliche Interview! Und natürlich für dein Engagement in der Facebookgruppe, in der Du vielen Menschen hilfst.
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