Kürzlich bin ich über einen sehr interessanten wissenschaftlichen Review gestolpert, den ich Dir unbedingt vorstellen möchte. Dieser Review stellt sich die Frage, welche langfristige Behandlung bei Morbus Basedow am geeignetsten ist. Interessanterweise geht es hier nicht nur um die Radiojodtherapie (RJT) oder die OP, sondern auch und besonders um langfristige Medikamenteneinnahme.
Das fand ich besonders interessant, gerade weil ja die weitverbreitete Meinung herrscht, dass man die Schilddrüsenhemmer nicht länger als ein bis zwei Jahre nehmen sollte1!
Der Review
Die Publikation, die ich gleich für dich auseinandernehme, stammt aus dem August 2020. Es handelt sich um eine Arbeit, bei der die Autoren viele wissenschaftliche Studien/Publikationen/Untersuchungen anderer Autoren zusammengetragen und ausgewertet haben. Eine immense Arbeit und sehr aufschlussreich!
Kawkgi et al. beleuchten, wie sich die Behandlungsmethode langfristig auf Basedow-Patienten auswirkt. Wie oben schon erwähnt, waren die untersuchten Verfahren:
- langfristige, niedrig dosierte Medikamenteneinnahme
- Radiojodtherapie (RJT)
- Operation (OP)
Natürlich habe ich jetzt nicht das gesamte Review übersetzt – das wäre auch nicht allzu schön gewesen, denn „Wissenschafts-Sprech“ liest sich nicht allzu gut. Ich habe mich aber total an meine Zeit als Biologe im Labor erinnert gefühlt, immer auf der Suche nach Papern und Publikationen, aus denen ich Infos für meine eigenen Projekte herausziehen konnte.
Ich habe mir die markantesten und meiner Meinung nach wichtigsten Punkte herausgepickt. Doch ich lege Dir ans Herz, gern auch selbst das Paper zu lesen! Es ist mega interessant.
Bist Du schon gespannt auf das Ergebnis? Dann lass uns loslegen!
Anmerkung: Wenn ich hier von Medikamenten, Medikamenteneinnahme etc. spreche, dann meine ich (bzw. die Autoren) immer die langfristig niedrigdosierte Medikamenteneinnahme!
Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze
Für alle, die nicht den ganzen Text lesen wollen 😉
Vorab: Ich finde es echt überraschend, wie gut die Langzeitmedikation abschneidet!
- die schnellste Wiederherstellung der normalen Schilddrüsenaktivität gelingt mit OP und RJT
- die langfristig stabilste euthyreoide Schilddrüsenfunktion wird mit Langzeitmedikation erreicht!
- die größte Gefahr eines Rezidivs besteht bei einer kurzen (bis 18 Monate) währenden Medikamenteneinnahme. Langfristige Medikamenteinnahme erzielt aber ein nahezu gleich geringes Rezidiv-Risiko wie die RJT! Das geringste Risiko eines Rückfalls wird der OP bescheinigt
- in punkto Lebensqualität lassen sich schwer Aussagen treffen, eine positive Tendenz geht aber in Richtung Medikamente
- die Behandlung mit einer RJT hat von allen drei Behandlungswegen die höchste Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Glubschaugen
- Körpergewicht: Patienten mit einer OP legten am meisten an Gewicht zu, gefolgt von der RJT. Die geringste Gewichtszunahme unter der Behandlung verzeichneten Patienten, die eine Langzeitmedikation erhielten
- Nebenwirkungen: Laut Autoren (wie alle Aussagen in diesem Artikel, natürlich) ist eine Langzeitmedikation als sicher einzustufen, da die meisten Nebenwirkungen in der ersten Zeit der Behandlung auftraten. Zum Krebsrisiko nach einer RJT fand man widersprüchliche Ergebnisse. Die häufigsten Nebenwirkungen traten jedoch bei der OP – und zwar in Form der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) auf
So, nun folgen die konkreteren Ausführungen 🙂
Welche Behandlung erzielt die schnellste Wiederherstellung der normalen Schildi-Aktivität?
Anmerkung: Als normale Schilddrüsenaktivität bezeichnet der Review den sogenannten „euthyreoiden“ Zustand. Für die Autoren ist dies ein TSH im normalen Bereich (ich selbst gehe da nicht ganz mit, aber hier geht es ja um die Erkenntnisse des Reviews). Im Allgemeinen bedeutet Euthyreose, dass die Schilddrüse ihre Hormone in genau dem richtigen Umfang produziert – nicht zu viel und nicht zu wenig.
Folgendes haben die Autoren herausgefunden: Die Einnahme von Medikamenten ist ebenso effektiv beim Erreichen des euthyreoiden Zustandes wie eine RJT!
Wenn es darum geht, die normale Schilddrüsenaktivität möglichst schnell zu erreichen, sind die OP sowie die Medikamente der RJT überlegen. Dies sei wichtig, weil sonst die TSH-Produktion zu lange unterdrückt wird. Und dies könne wiederum zu Herzproblemen führen.
Mit welcher Methode wird die normale Schildi-Funktion langfristig am besten gehalten?
Laut Paper sind Medikamente auf lange Zeit in sehr niedriger Dosierung äußerst effektiv dabei, die Schilddrüse in einem euthyreoiden Zustand zu halten.
So hat eine Studie an 108 Patienten gezeigt, dass 90 % davon während der Dauer der Studie (80 Monate) eine normale Schilddrüsenfunktion erhielten.
Eine weitere Studie mit noch mehr Teilnehmern (130) hatte zum Ergebnis, dass nach einem Jahr Behandlungsdauer sogar 100 % der Patienten einen stabilen, guten Schilddrüsenzustand verzeichneten.
Zudem wurden in einer weiteren Untersuchung zwei Patientengruppen verglichen:
- Gruppe A, die Langzeitmedikation erhielt
- Gruppe B, die sich für eine RJT gefolgt von L-Thyroxin entschied.
Auch hier zeigte sich, dass die niedrig dosierten Medikamente auf lange Sicht der RJT weit überlegen waren. Warum? Weil die RJT sehr häufig eine Unterfunktion verursachte (fairerweise muss man sagen: eine allgemein bekannte Folge dieser Behandlungsmethode). Um nach der RJT einen euthyroiden Status zu erlangen, wird oft L-Thyroxin (= LT4) gegeben. Der vorliegende Review stellt dessen Wirksamkeit in diesem Punkt – verglichen mit den „Basedow-„Medikamenten – in Frage.
An dieser Stelle führt der Review Untersuchungen an, die gezeigt haben, dass die Therapie mit Schilddrüsenersatzhormon (z.B. LT4) häufig sogar zu abnormalen TSH-Werten führt.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass OP und RJT zwar effektiv sein mögen, um die Überfunktion selbst zu bekämpfen. Allerdings können sie die Schilddrüse in eine Unterfunktion stürzen, was mit (langfristig niedrig dosierten!) Medikamenten nicht so schnell passiert. (Und eine Unterfunktion ist auch kein erstrebenswerter Status. Meine Meinung). Dies sollte laut Autoren bedacht werden, bevor man sich für eine endgültige Therapie entscheidet.
Der Review mahnt, die Folgen der durch OP oder RJT ausgelösten Unterfunktion zu bedenken. Medikamente hingegen erhielten einen Großteil der Komplexität der endokrinen Hormonproduktion. (Anmerkung von mir: Logisch. Da die Schilddrüse ja erhalten bleibt.)
Risiko einer Rückkehr der Überfunktion nach Medikamentenstopp verglichen mit den Risiken anderer Therapien
Die Autoren haben auch untersucht, wie hoch das Risiko für einen Rezidiv je nach Behandlungsmethode ist.
Was die Medikamente angeht, fanden sie Folgendes heraus: Je länger man die Schilddrüsenhemmer einnimmt, bevor man sie absetzt, desto geringer ist die Gefahr eines Rezidivs. Bei diesen Patienten seien auch die TRAb-Werte (TRAK) niedriger, was ebenfalls mit einer geringen Rezidiv-Gefahr zusammenpasst.
Zusammengefasst kommt der Review zu folgendem Ergebnis: Das höchste Rückfallrisiko besteht nach 12-18 Monaten Medikamenteneinnahme. Wesentlich niedriger ist die Gefahr eines Rezidivs nach der RJT UND (!) mit dem Langzeiteinsatz von Medikamenten.
Wenig überraschend: Die geringste Rückfallwahrscheinlichkeit gibt es bei einer OP. (Anmerkung von mir: Natürlich, hier wird ja auch das Schilddrüsengewebe entfernt, häufig alles, manchmal bleibt ein kleiner Rest stehen.)
RJT, Medikamente oder OP: Lebensqualität?
Ein besonders interessanter Abschnitt! Wie gut schneiden die einzelnen Behandlungsmethoden ab, wenn es um die Lebensqualität der Patienten geht?
Dazu wurden laut Review unter anderem in einer schwedischen Studie Teilnehmer untersucht, deren Erstdiagnose 6 bis 10 Jahre zurücklag.
Das Ergebnis: Die RJT-Patienten beklagten mehr Angtzustände, Depressionen, getrübtes Sozialleben, Kropf, und Symptome der Schilddrüsenüberfunktion (verglichen mit Medikamenten).
Im Vergleich zur RJT schnitt die langfristige, niedrig dosierte Medikamenteneinnahme besser ab. Es gab laut Review aber frühere Studien, die keinen Unterschied zwischen RJT, OP und Medikamenten feststellen konnten. Diese waren allerdings klein und nutzten zur „Messung“ der Lebensqualität keine Parameter, die schilddrüsenbezogen waren.
Daneben gab es unter anderem noch zwei weitere Studien. Eine davon bescheinigte den Medikamenten einen positiveren Einfluss auf die Lebensqualität als die RJT, während die zweite Studie keinen Unterschied zwischen den beiden fand.
Insgesamt kommt der Review zu dem Schluss, dass Menschen mit Basedow grundsätzlich eine schlechtere Lebensqualität als gesunde Menschen haben (Ebenfalls wenig überraschend, wie ich finde).
Die Autoren betonen aber, dass die Interpretation ihrer Ergebnisse individuell von jedem Menschen abhängt. Zum Beispiel nähmen begleitende Krankheiten oder das Alter ebenfalls Einfluss auf die Lebensqualität.
Einfluss auf „Glubschaugen“
Laut Review haben Patienten, die mit RJT behandelt wurden, leider eine größere Wahrscheinlichkeit Glubschaugen zu entwickeln als solche, die mit Methimazol (= Thiamazol) behandelt wurden.
Einfluss auf Körpergewicht und BMI
Während ein Gewichtsverlust während des „aktiven“ Basedow normal ist, berichten Patienten laut Review unter der Behandlung konstant von Gewichtszunahmen. (Das deckt sich mit dem, was ich auch festgestellt habe bzw. feststelle).
Auch hier wurde festgestellt, dass Patienten nach einer RJT verglichen mit „Medikament-Patienten“ mehr Körpermasse zugelegt haben. Auch eine Studie im Vereinigten Königreich mit 1373 Patienten kam zu diesem Schluss. Im Schnitt nahmen die RJT-Patienten hier 600 g mehr zu als die, die mit Medikamenten behandelt wurden (innerhalb von 23 Monaten).
Aber Patienten mit einer OP hatten sogar noch mehr Probleme. Diese nahmen laut Review sogar noch mehr zu als jene mit RJT. 162 OP-Patienten legten ca. 10 kg in 2 Jahren zu. Das sei das Doppelte von dem, was Patienten zugenommen hatten, die mit einer der anderen beiden Methoden behandelt wurden.
Patientensicherheit – ich sage „Nebenwirkungen“
Laut Review fanden Studien an ca. 1660 Patienten heraus, dass eine Langzeit-Medikation (5.8 Jahre) nur in 0.8% der Fälle sogenannte „Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“ hervorrief (Behinderungen, Tod, etc.). „Geringfügige unerwünschte Ereignisse“ traten hingegen bei 2 bis 36% der Patienten auf.
Eine weitere Studie kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Zudem wurde ermittelt, dass die meisten Nebenwirkungen innerhalb der ersten 3 Monate nach Einnahmebeginn auftraten und signifikant abnahmen, je länger die Medikamente eingenommen wurden.
Eine japanische Studie fand heraus, dass bei Medikamentengaben eine Agranalocytose auftreten kann. Allerdings nur, wenn die Medikamente verhältnismäßig hoch dosiert sind. Die niedrigen Dosen in der Langzeitbehandlung sollen laut Review hingegen in dieser Hinsicht kein Problem darstellen.
Ähnliches wie für die Agranalocytose kann der Review auch für Leberschäden unter Medikamenteneinnahme sagen.
Nochmal ähnliches gilt für die Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse).
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die drei oben aufgeführten Nebenwirkungen innerhalb der ersten Monate der Medikamenteneinnahme auftreten und eine längerfristige Behandlung in niedriger Dosierung daher sicher sei.
Ausnahme: Die Propycil-induzierte Vaskulitis (eine Gefäßentzündung), eine sehr seltene Komplikation, ist laut Review assoziiert mit der Länge der Medikamenten-Behandlung und trat noch bis zu 15 Jahre nach Therapiebeginn auf. (Anmerkung von mir: Da es „Propycil-induziert“ heißt, vermute ich, das betrifft nur ein Medikament. Nämlich das Propycil.)
Die meisten Studien fanden kein erhöhtes Krebsrisiko nach der Durchführung einer RJT. Eine neue Studie fand allerdings im Gegensatz dazu ein erhöhtes Risiko für Brust- und allen soliden Tumoren. Diese Studie steht jedoch in der Kritik, da sie weitere Risikofaktoren wie das Rauchen nicht berücksichtigt hat.
Eine weitere Analyse zeigte, dass die OP im Vergleich zur RJT und den Medikamenten die schwerwiegendsten/häufigsten Nebenwirkungen in Form der Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) nach sich ziehen kann.
Limitationen
Wir haben hier natürlich einen Review vorliegen, der keine eigene Studie/eigene Daten aus der Praxis enthält. Stattdessen sind die Autoren abhängig von den Ergebnissen anderer Wissenschaftsteams. Außerdem stellen die Autoren klar, dass in vielen Studien die Teilnehmer nicht ausreichend randomisiert (also „zufallsausgewählt“) wurden. Das bedeutet, dass die untersuchten Patientengruppen möglichst gleichförmig sind und dass sich Besonderheiten (wie zum Beispiel Risikofaktoren wie Rauchen oder Übergewicht, wenig Schlaf, Vorerkrankungen etc) gleichmäßig über die Gruppen verteilen.
Ich hoffe, die Zusammenfassung dieses spannenden Papers war für dich ebenso aufschlussreich wie für mich. Besonders beeindruckt hat mich die Tatsache, wie hervorragend eine langfristige Therapie mit niedrig dosierten Medikamenten abgeschnitten hat. Und das in quasi allen Punkten! Vielleicht könnte dies ja doch eine echte Alternative zu Radiojodtherapie und OP sein.
Der untersuchte wissenschaftliche Review, den ich in diesem Artikel beleuchte, ist folgender:
- Titel: „Comparison of long-term antithyroid drugs versus radioactive iodine or surgery for Graves‘ disease: A review of the literature“
- Autoren: El Kawkgi, Omar M. ; Ross, Douglas S.; Stan, Marius N.
- Datum: Dezember 2020
- Journal: Clinical Endocrinology
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Bitte beachte: Ich bin keine Ärztin, Heilpraktikerin oder dergleichen, also kein Fachmensch. Alle meine Beiträge basieren auf meinen eigenen Erfahrungswerten und über die Zeit gesammeltem Wissen.
- Vgl. „HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ZUR SCHILDDRÜSENERKRANKUNG FAQ ZU MORBUS BASEDOW“ unter: https://www.forum-schilddruese.de/erkrankungen/morbus-basedow/patienten-fragen-nach#:~:text=Bei%20etwa%20der%20H%C3%A4lfte%20der,teilweise%20oder%20vollst%C3%A4ndig%20entfernt%20werden. (abgerufen am 07.05.2022)
Very good article. I’m experiencing many of these issues as well..